Die übersehene Anwendung verhaltensökonomischer Erkenntnisse in Coachingprozessen
Coaching und Behavioral Economics (Verhaltensökonomie) sind zwei Disziplinen, die traditionell keine Berührungspunkte aufweisen. Coaching ist eine Vorgehensweise, die auf psychologischen und systemischen Theorien aufbaut. Verhaltensökonomie ist eine Schule, die auf psychologischen Konzepten basiert und Antworten auf ökonomische Fragestellungen bereitstellt.
Der Begriff Behavioral Coaching vereint beide Disziplinen. Insbesondere kann Verhaltensökonomie Coaching theoretisch und praktisch ergänzen, indem es dem Coach Wissen an die Hand gibt, welches wissenschaftlich fundiert und zugleich praktisch nutzbar ist. Der Coachee profitiert durch die Erweiterung seines Wissens und mehr Bewusstheit in seinem Handeln.
Gemeinsam ist beiden Richtungen die psychologische Ausrichtung. Interessanterweise finden sich zwei Themen, die beiden Disziplinen ein großen Stellenwert einnehmen: Entscheidungen und Muster.
Entscheidungen
Coaching
Manchmal fühlt man sich zwischen zwei Möglichkeiten hin- und hergerissen. In anderen Fällen weiß man eigentlich was zu tun ist, doch man zögert noch, die Entscheidung zu treffen, wann die Umsetzung beginnen soll. Das sind typische Anliegen, die in einem Coaching besprochen werden.
Entscheidungen spielen im Coaching eine große Rolle. Ein Coach versucht Entscheidungen zu unterstützen, indem er Entscheidungsregeln bewusst macht. Die Hilfe bei der Entscheidungsfindung ist einer der am häufigsten genannten Gründe von Anliegen, sich an einen Coach zu wenden1.
Behavioral Economics
Die Verhaltensökonomie hat sich viel mit Heuristiken beschäftigt, die Basis von Entscheidungen sind. Heuristiken sind Faustregeln, die zu Entscheidungen führen. Sie sind einfach, schnell und auf den ersten Blick plausibel. In vielen Fällen sind sie stimmig, doch wenn nicht, kann diese Art der Entscheidung viel Geld kosten - besonders an der Börse.
Beispielweise spielt es für eine Entscheidung eine Rolle, ob ich etwas besitze oder es erwerben möchte. Der Besitztumseffekt sagt aus, dass wir mehr Geld für einen Gegenstand verlangen, den wir besitzen als wenn wir den gleichen Gegenstand erwerben möchten. Der Besitz oder Nicht-Besitz von etwas beeinflusst maßgeblich die eigene Entscheidung. Einer Aktie, die wir im Depot haben, schreiben wir tendenziell einen höheren Wert zu. Das heißt, würden wir die gleiche Aktie kaufen wollen, würden wir ihr intuitiv einen geringen Wert zuordnen und weniger bezahlen wollen.
Bei Entscheidungen ergänzen sich Coaching-Ansätze und Verhaltensökonomie, da Verhaltensökonomie Coaching-Wissen um praktische Anwendungen erweitern kann.
Muster
Coaching
Muster spielen in Coachingprozessen eine ebenso große Rolle. Muster sind regelmäßig wiederkehrende Denkweisen, Handlungsabläufe und Verhaltensweisen von Menschen und Systemen. Meist laufen Muster unbewusst ab und sind häufig nicht offensichtlich. Man muss sich auf die Suche nach ihnen begeben. Im Coaching geht es darum, Muster zu erkennen und auf ihren Nutzen im Dienste bestimmter Ziele zu überprüfen.
In der Literatur werden ein Vielzahl von Mustern beschreiben: Kommunikationsmuster und Beziehungsmuster in sozialen Systemen, aber auch persönliche Lösungsmuster, Verhaltensmuster oder Gedankenmuster.
Ein Daytrader konzentriert sich beispielsweise auf charttechnische Ausbrüche nach oben. Er wird in seiner Strategie bestätigt vom Markt, wenn er mit dieser Vorgehensweise sein Vermögen kontinuierlich steigern kann. Da er nur sehr kurzfristig orientiert ist, interessiert ihn der langfristige Aufwärtstrend nicht. Das sollte es aber, denn dieses Muster: Kaufen bei Ausbruch - Bestätigung durch Gewinne kann nur solange funktionieren, wie der Markt steigt. In Seitwärtsbewegungen und Abwärtstrends wird er mit diesem Muster aus Verhalten und Bestätigung vermutlich mehr Geld verlieren als gewinnen.
Behavioral Economics
Auch die Verhaltensökonomie hat sich auf die Suche nach Mustern gemacht. Insbesondere geht es um Gedanken- und Verhaltensmuster, die im Lichte der Rationalität als Fehler auftreten und zu Fehlentscheidungen führen können.
Beispielsweise schreiben Menschen sich Erfolge gerne selbst zu. Misserfolge hingegen werden gerne dem Zufall oder den Umständen zugeschrieben - der Self-Serving Bias. In der Folge kommt es zu einer angenommen Kompetenz, die nicht existiert. Ein typisches Muster, da die meisten Menschen diesem Gedankenmuster unterliegen.
Die Verhaltensökonomie spricht von systematisch auftretenden Verzerrungen, die so Kahneman (2011) in vorhersehbarer Weise unter bestimmten Umständen auftreten2. Das bedeutet, dass kognitive Verzerrungen bei vielen Menschen immer wieder auftreten, was durchaus als ein individuelles Muster betrachtet werden kann.
Die nachfolgende Tabelle fasst die dargelegten Konzepte zusammen.
Coaching | Verhaltensökonomie | |
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Entscheidungen | Unterstützung bei der Entscheidungsfindung durch Entscheidungstools, Selbstreflexion und neue Perspektiven. | Menschen treffen auf Grundlage kognitiver Verzerrungen Entscheidungen, die einer logischen Prüfung nicht immer standhalten. |
Muster | Suche nach unbewussten Mustern und Klärung des Nutzens von Mustern für eine Person oder ein angestrebtes Ziel. | Anwendung unbewusster Heuristiken, die systematisch zu falschen Annahmen, Prognosen und Handlungen führen können. |
Verhaltensökonomische Erkenntnisse finden in der Behavioral Finance einen speziellen Anwendungsbereich. Insofern eignet sich verhaltensökonomisches Wissen optimal für die Begleitung von Tradern und Anlegern, in dem ein Coach dieses Wissen berücksichtigt.
Allerdings kann auch darüber hinaus gedacht werden. Das Wissen aus der Verhaltensökonomie kann - und wird auch - im Coaching von Führungskräften, Managern und Freiberuflern Anwendung finden. Gerade hier spielen klassische Themen der Verhaltensökonomie wie Entscheidungsfehler, Selbstüberschätzung oder erhöhte Risikobereitschaft eine entscheidende Rolle.
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Im deutschen Sprachraum wird der Begriff Behavioral Coaching nicht verwendet. Eine amerikanische Studie3 verweist auf die unterschiedliche Verwendung des Begriffs. Insgesamt wird Behovioral Coaching in der Management-Ausbildung oder im Sport verwendet. Hier geht es allerdings eher um Verhaltenstraing als um ein selbstreflexibles Coaching, wie es im deutschen Sprachraum Verwendung findet.
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1 Stephan & Gross (2013); nach Rauen (2014): Coaching - Praxis der Personalpsychologie
2 Kahneman (2011): Schnelles Denken, langsames Denken
3 Seniuk, Witts, Williams, & Ghezzi (2013). Behavioral Coaching. The Behavior analyst, Link: Behavioral Coaching
x Foto unten: Ausschnitt, Berlin Mural Festival 2018, Mecklenburgische Straße, Künstler unbekannt (dieser kann sich zur Nennung gerne melden)